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LG Gera: Stundung der Verfahrenskosten auch bei Deliktsforderungen in Höhe von 45.000 Euro möglich

Das Landgericht Gera hat mit Beschluss vom 2.6.2020, 5 T 176/20, hier als Scan, eine wichtige Entscheidung gefällt, die eine Pflichtlektüre sein dürfte:

  1. Eine Stundung der Verfahrenskosten nach § 4a InsO setzt voraus, dass die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs gegeben ist. Daher ist die Stundung zu versagen, wenn für einen wesentlichen Teil der Gläubigerforderungen Restschuldbefreiung nicht erlangt werden kann.
  2. Für die Frage, ob mit der Restschuldbefreiung das Ziel eines wirtschaftlichen Neustarts ermöglicht wird, kommt es nicht darauf an, welchen prozentualen Anteil die von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen an der Gesamtheit der Forderungen haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob zu erwarten ist, dass der Schuldner die von der Restschuldbefreiung nicht umfassten Forderungen noch zu Lebzeiten so abbezahlen kann, dass ihm dennoch ein wirtschaftlicher Spielraum verbleibt.
  3. Einem 31jährigen gelernten Tischler kann daher nicht die Stundung verwehrt werden, wenn insgesamt 45.000 Euro von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind und dieser Betrag durch monatliche Raten in Höhe von 150 Euro und einer Laufzeit von 25 Jahren getilgt werden soll.

(Leitsätze von Matthias Butenob)

Aus der Entscheidung: „Verfahrenskostenstundung ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH allerdings auch dann zu versagen, wenn für einen wesentlichen Teil der Gläubigerforderungen Restschuldbefreiung nicht erlangt werden kann. Hintergrund hierfür ist, dass die Restschuldbefreiung und damit die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs als Ziel des Insolvenzverfahrens gilt und öffentliche Gelder auch in Form der Verfahrenskostenstundung nicht investiert werden sollen, wenn dieses Ziel nicht erreicht werden kann.

Mit seiner Entscheidung vom 13.02.2020, IX ZB 39/19, hat der BGH diese Rechtsprechung erneut bestätigt. Allerdings hat der BGH in Kenntnis der Bandbreite der instanzgerichtlichen Rechtsprechung ausdrücklich nicht darüber entschieden, ob für das Merkmal der Wesentlichkeit ggf. allein auf einen prozentualen Anteil der von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen abgestellt werden kann und wie hoch dieser Anteil anzusetzen wäre, BGH a.a.O., Rnr. 13 zit. n. juris. Der BGH hat vielmehr die Versagung der Verfahrenskostenstundung in dem von ihm entschiedenen Fall deshalb bestätigt, weil die Forderung in ihrer absoluten Höhe mit 1.837.310,00 € dazu führt, dass der Schuldner diese auch dann nicht begleichen kann, wenn er von den weiteren deutlich höheren Verbindlichkeiten befreit wird. Dabei hat der Schuldner in dem von dem BGH zu entscheidenden Fall auch nicht behauptet, einen Betrag in dieser Höhe in absehbarer Zeit begleichen zu können.

Allerdings hat der BGH festgestellt, dass das Insolvenzgericht nicht zu ermitteln braucht, wie sich der Gläubiger einer Schadenersatzforderung im eröffneten Verfahren hinsichtlich der Anmeldung der Forderung als aus einer unerlaubten vorsätzlichen Tat stammend verhalten wird, BGH a. a. O. Rn. 16. Es genügt vielmehr, dass der Bestand der Forderung und die Zuordnung als aus einer unerlaubten vorsätzlichen Tat stammend feststehen.

Das erkennende Gericht vertritt die Auffassung, dass es für die Frage, ob mit der Restschuldbefreiung das Ziel eines wirtschaftlichen Neustarts ermöglicht wird, nicht vordergründig darauf ankommt, welchen prozentualen Anteil die von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen an der Gesamtheit der Forderungen haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob zu erwarten ist, dass der Schuldner die von der Restschuldbefreiung nicht umfassten Forderungen noch zu Lebzeiten so abbezahlen kann, dass ihm dennoch ein wirtschaftlicher Spielraum verbleibt.

Daher ist dem Schuldner hier die Verfahrenskostenstundung zu gewähren, da bei Zugrundelegung diesen Maßstabs davon auszugehen ist, dass für den Schuldner das Ziel der Restschuldbefreiung, nämlich ein wirtschaftlicher Neubeginn, realisierbar ist.

Vorliegend sind Forderungen von rund 44.000,00 € – 45.000,00 € von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen, (…) Der Schuldner hat vorgetragen, dass er sich als gelernter Tischler in der Lage sieht, nach Beendigung der Haft eine Arbeitsstelle zu finden und diese Forderungen mit Raten von 150,00 € monatlich ab zu bezahlen. Bei einer Forderung von 45.000 € ergäbe sich so eine Laufzeit von 25 Jahren. Der jetzt 31-jährige Schuldner hätte bei einer Haftzeit wohl bis März 2022 und ab dann beginnender Ratenzahlung die Schulden mit etwa 58 Jahren getilgt. Es erscheint nicht abwegig, dass es dem Schuldner gelingt nach Ende der Haft eine Arbeitsstelle zu finden, die es ihm ermöglicht, diese Ratenzahlung durchzuführen. Auch wenn die Dauer der Ratenzahlung, sollten tatsächlich kontinuierlich 150,00 € gezahlt werden mit 25 Jahren einen erheblichen Zeitraum umfasst, so wäre andererseits die Abzahlung statistisch noch zu Lebzeiten des Schuldners zu bewerkstelligen und mit einer – derzeit natürlich nur fiktiven – Ratenhöhe von 150,00 € monatlich dennoch ein wirtschaftlicher Neubeginn schon mit Erlangen der Restschuldbefreiung von den übrigen Forderungen möglich.“

Dank an Arno Röder für die Überlassung der Entscheidung!