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SG Karlsruhe hält „Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie“ (§ 70 SGB II n.F.) für unzureichend und verfassungswidrig

Übermorgen tritt das sog. Sozialschutzpaket III in Kraft (BGBl. 2021 I Nr. 10, 335). Der neue § 70 SGB II sieht eine „Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie“ in Höhe von 150 Euro vor.

Harald Thomé weist auf eine diesbezügliche (Eilrechts-) Entscheidung des SG Karlsruhe, 24.03.2021, S 12 AS 711/21 ER, hin (als pdf). Daraus:

„Im Widerspruch zu den verfassungsgerichtlich erkannten Beurteilungsmaßstäben ist den BT-Drucksachen zu § 70 SGB II in verfassungswidriger Weise nicht ansatzweise zu entnehmen, warum eine Einmalzahlung für den Monat Mai 2021 in Höhe von 150,- € den Mehrbedarf aufgrund der COVID-19-Epidemie für die Monate Januar 2021 bis Juni 2021 decken sollte.
Ferner wird das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Ab. 1 GG auch verletzt, weil § 70 SGB II n.F. in seiner künftigen Gestalt ohne hinreichenden Grund für die bereits in den Leistungsmonaten Januar 2021 bis April 2021 gegebenen Mehrbedarfe lediglich eine nachträgliche Leistungsgewährung im Mai 2021 vorsieht, obgleich es sodann wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs evidenter Maßen schon zu spät sein wird, die Leistungen noch zweckentsprechend einzusetzen.“

Harald Thomé: „Ein Versuch der Einschätzung: Grundsätzlich ist der Beschlusstenor absolut zu befürworten. Das SG  Karlsruhe stellt darin wiederholt das armutspolitische Versagen dieser Bundesregierung in der Corona-Krise fest und schließt sich der Forderung von rund 50 Gewerkschaften und Sozialverbänden, für die Dauer der Pandemie finanzielle Soforthilfe in Höhe von 100 Euro pro Kopf und Monat für alle, an.

Zur juristischen Einordnung:  Ausgehend von der ersten Entscheidung des SG  Karlsruhe bezüglich 129 EUR Maskenmehrbarf (v. 11.02.2021 – S 12 AS 213/21 ER) gab es eine Reihe von Gerichtsentscheidungen. Einhellig war, dass der Mehrbedarf abgelehnt wurde. Hier prallen Welten aufeinander. Die Gerichte versuchen jedes erdenkliche Argument zu finden, um den Anspruch auf Mehrkosten zu verneinen. Keine/-r der RichterInnen kann sich wirklich vorstellen, was es heißt, in der pandemischen Situation ohne finanzielle Rücklagen dazustehen und dass Mehrkosten, die durch Masken, Homeschooling, teurere Lebensmittel, Wegfall von Lebensmittelausgaben der Tafel, ausgefallenes Schulessen, gestiegenen Stromkosten, Spritpreise usw. entstehen, nicht einfach aufgefangen werden können.
Mit der Arroganz der Gutprivilegierten werden die Anträge auf pandemische Zuschläge durch die Bank weggewischt. Einzige Ausnahme das SG Karlsruhe.

Natürlich ist es eine politische Frage, ob und in welcher Höhe GrundsicherungsleistungsempfängerInnen solidarische Unterstützung bzw. einen Coronazuschlag erhalten. Ob im Gesetzgebungsverfahren 25 EUR im Monat oder 100 EUR entschieden wird. Allerdings hat das BVerfG schon in seinem Regelsatzurteil 2014 die Sozialgerichte aufgefordert, wegen der eklatanten Unterdeckung der Regelbedarfe im Zweifel die Bedarfe durch verfassungskonforme Entscheidungen zu decken und dabei kurzfristige Preissteigerung (und neu aufkommende Bedarfe) von regelbedarfsrelevanten Güter zu berücksichtigen (BVerfG 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, Rn 144).
Genau das wird wegen des konstanten Versagens der Politik von den Betroffenen gefordert und von den Gerichten systematisch verweigert. Hier ist eine deutlich andere Position der Gerichte zu erwarten, denn die Gerichte haben in einem Rechtsstaat dafür Sorge zu tragen, dass soziale Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 SGB I).“

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