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Thomé zum Bürgergeld: „Armut, Sanktion und Drangsalierung per Gesetz bleibt Realität“

Aus dem gestrigen Newsletter von Harald Thomé:

Das Bürgergeldgesetz ist weiterhin Armut, Drangsalierung und Sanktion per Gesetz. Ich fasse die Eckpunkte nachfolgend zusammen.

Zu geringe Regelleistungen: Mit den neu festgesetzten Regelleistungen wird noch nicht einmal die Inflationsrate kompensiert. Mit den Regelleistungen ist ein Leben in Würde und in gesellschaftlicher Teilhabe nicht ausreichend sicherzustellen, daher ist das Bürgergeldgesetz weiterhin „Armut per Gesetz“.

Wohnkostenlücke: an den Regeln zur „Wohnkostenlücke“, also Unterfinanzierung durch Nichtberücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten wegen „Unangemessenheit“ und/oder „fehlender Umzugserfordernis“ wurde nichts geändert (https://t1p.de/ymhro). 400.000 SGB II – Haushalte müssen durchschnittlich 91 € der Unterkunftskosten im Monat selbst aufbringen. Grade in der schwersten je dagewesenen Wirtschaftskrise und bei akuter Wohnungsnot wären hier Änderungen zwingend notwendig gewesen.

Kein Aufrechnungsmoratorium: Die Möglichkeit der Aufrechnung von behördlichen Ansprüchen bis unter das Existenzminimum ist eigentlich nach § 51 SGB I grundsätzlich nicht zulässig. Durch Grundsicherungssonderrecht ist es aber im SGB II und SGB XII doch jederzeit möglich, das „Existenzminimum“ durch Aufrechnung von Behördenansprüchen zu unterschreiten. Diese Sonderregelung wurde nicht ausgesetzt, obwohl die Preissteigerungen durch Inflation dies dringend gebieten würde. Immerhin wurde die Höhe von Aufrechnungen bei Darlehen auf 5 %, in anderen Fällen auf 20 % des Regelsatzes reduziert.

Sanktionsrecht  
Die Sanktionen gehen weiter. Das war ein Herzensanliegen der Union, mit Sicherheit auch der FDP und weiten Teilen der SPD. Die ursprünglich geplante Vertrauenszeit wurde gestrichen, das Sanktionsmoratorium nach § 84 SGB II wurde auf ein halbes Jahr verkürzt. Das Sanktionssystem geht weiter, wenn auch modifiziert und jetzt auf gesetzlicher Grundlage und nicht durch Anordnung des BVerfG.

100 % Sanktionen durch vorläufige Leistungseinstellung und Entsagungs- und Entziehungsbescheide wegen fehlender Mitwirkung
Die 100 % – Sanktionen durch vorläufige Leistungsversagungen und Entsagungs- und Entziehungsbescheide wegen fehlender Mitwirkung wurde im Bürgergeldgesetz nicht angepackt. Die hier stattfindenden Sanktionen sind nicht auf 30 % begrenzt, sondern regelmäßig und sehr häufig rechtswidrig 100 % Sanktionen, dh. komplette Leistungseinstellungen, keine Regelleistung, keine Miete, keine Krankenkasse.
Auf diesen Missstand wurde im Gesetzgebungsverfahren intensiv hingewiesen, geändert wurde nichts. Daher bleibt das Bürgergeld ein Drangsalierungssystem.

Alte, kranke und behinderte Menschen werden sich selbst überlassen
Im Bürgergeldgesetz wurden auch Änderungen im SGB XII, der „Grundsicherung im Alter und voller Erwerbsminderung“ durchgeführt. Hier hat Bundesregierung, selbstredend auch die christliche Opposition, komplett versagt. In einer Vielzahl von Fällen sind im SGB XII die gesetzlichen Regeln viel schärfer als im SGB II. Hier sind Reformen für die alten-, kranken- und behindertenspezifischen Bedarfe überfällig. Das SGB XII ist im Verhältnis zum SGB II ein diskriminierendes Gesetz. Die Regierung hätte im Gesetzgebungsverfahren hier die überfälligen und notwendigen Änderungen vorzunehmen. Tacheles hat diese in 30 Seiten seiner Stellungnahme im Gesetzgebungsverfahren aufgezeigt. Der Umgang der Regierung mit den alten, kranken und behinderten Menschen in diesem Gesetzgebungsverfahren ist erbärmlich.

In der Gesamtheit ist das Bürgergeldgesetz eine Fortsetzung von Armut, Sanktion und Diskriminierung per Gesetz, daher ist die Bezeichnung „Bürgerhartz“ richtig.
Natürlich gibt es auch einige positive Änderungen. Am wichtigsten ist die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs und vielmehr die Förderung von Aus- und Weiterbildung. Aber das Gesetz ist weiterhin als ein Gesetz aufgebaut und konzeptioniert, das die Leistungsbeziehenden in bittere Armut bringt und ein menschenwürdiges Leben nicht ermöglicht. Besonders bitter dabei ist der Nichtumgang mit den SGB XII’ern, die damit ein „lebenslang in bitterer Armut“ bekommen.

Stellungnahmen anderer: Christoph Butterwegge in der Faz: https://t1p.de/tockg
und Irene Becker zu den Regelbedarfe im Konzept des Bürgergelds – das neue Fortschreibungsverfahren: https://t1p.de/ffob7