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Bundesverfassunsgericht zu Inkassokosten bei bestrittener Forderung

Frank Lackmann [der am 6.11.2024 ein Online-Seminar zur aktuellen Rechtsprechung hält] und Hans-Peter Ehlen haben eine beachtenswerte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erstritten, 18.7.2024, 1 BvR 1314/23. Die Leitsätze (von Matthias Butenob zusammengestellt) lauten:

  1. Dass grundsätzlich eine Schadensminderungspflicht besteht, aufgrund derer Inkassokosten im Fall eines erkennbar zahlungsunwilligen Schuldners nicht als Schadensersatz erstattungsfähig sind, ist anerkannt (Rz. 22).
  2. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, ist das Gericht verpflichtet, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (Rz. 21).

Was war geschehen?

Die Beklage (= angebliche Schuldnerin) sagte einen in einer Fußpflegepraxis vereinbarten Behandlungstermin am gleichen Morgen wegen gefährlichen Unwetters telefonisch ab. Die Praxis war damit nicht einverstanden und berief sich auf ihre AGBs („Kurzfristig abgesagte Termine werden wir, egal warum der Termin abgesagt wurde, wie z.B. Krank, Arzttermin, Streik der öffentlichen Verkehrsmittel oder Auto sprang nicht an, mit einer Gebühr von 50% der eingeplanten Zeit zum Satz eine Minute/ ein Euro berechnen.“)

Die Beklagte bestritt trotzdem weiterhin die Forderung mit Verweis auf höhere Gewalt (Unwetter!). So verklagte die Praxis die Schuldnerin zur Zahlung des Honorars sowie – und hierum geht es beim Beschluss des BVerfGs – von Inkassokosten. Auch vor Gericht bestritt die Beklagte die Forderung und machte zu den Inkassokosten darüber hinaus geltend, dass die Praxis gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen habe, in dem sie ein Inkasso eingeschaltet habe, obwohl die Forderung bestritten sei. Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte ohne auf diese Argumente einzugehen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Das BVerfG hob die Entscheidung bezüglich der Inkassokosten auf. Es sah den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

Zunächst betont es, dass im Fall eines erkennbar zahlungsunwilligen Schuldners Inkassokosten nicht als Schadensersatz erstattungsfähig sind. Damit hält das Gericht sich gar nicht lange auf, sondern betrachtet dies als „anerkannt“ (erwähnt freilich Quellen und auch mögliche Rückausnahmen, die hier aber nicht in Betracht kamen). Vor diesem Hintergrund war das Vorbringen der Schuldnerin beachtlich. Sie hatte ja stets die Forderung bestritten. Dann aber hätte das Gericht darauf eingehen müssen.

Aus der Entscheidung des BVerfG: „Die Beschwerdeführerin hat ihr Bestreiten der Hauptforderung seit Rechnungsstellung (…) in das Zentrum ihres Vortrags gestellt und die Ersatzfähigkeit der Inkassokosten wegen einer Schadensminderungspflicht der Gläubigerin in Frage gestellt. Sie hat dies durch Fettdruck und Verwendung von anderen bestärkenden Hervorhebungen (drei Ausrufungszeichen u.s.w.) besonders betont. Das Amtsgericht ist jedoch weder in seinem Urteil noch in dem Beschluss, mit dem es die Anhörungsrüge zurückgewiesen hat, darauf eingegangen, dass es sich bei dem Ausfallhonorar um eine stets bestrittene Forderung handelte. Auch eine mögliche Schadensminderungspflicht der Gläubigerin hat es nicht angesprochen. Der Vortrag der Beschwerdeführerin war erheblich und konnte daher in den angegriffenen Entscheidungen nicht als unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert unerwähnt bleiben. (…) Die Begründung des Amtsgerichts im Urteil vom 20. April 2023, wonach die Nebenforderungen allesamt gemäß den „§§ 280 Abs. 1, 286, 288 Abs. 2 BGB […] unter dem Gesichtspunkt des Verzuges“ ersatzfähig seien, zeigt, dass das Amtsgericht die Einwände der Beschwerdeführerin überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl die Beschwerdeführerin dazu ausführlich vorgetragen hat.“

Die ganze Entscheidung des BVerfG im Wortlaut als PDF-Scan.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollte Mut machen. Die in der Soziale Arbeit engagierten Personen sollten nicht zu schnell aufgeben, wenn sie von Gerichtsentscheidungen nicht überzeugt sind! (vgl. dazu auch Butenob unter BAG-SB Informationen 2024, S. 28, 29). Freilich muss hier auch wieder die Frage nach Ressourcen und der Finanzierung von Schuldnerberatung gestellt werden….